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Unterirdisch in die Freiheit – Berliner Unterwelten

Der Verein „Berliner Unterwelten“ bietet einen Blick in die Geschichte der Fluchttunnel unter der Mauer. Alexander Dieck ist Gastautor für unsere Unternehmenszeitung "Wir für Berlin" und hat eine Führung besucht. Auch aktuell finden Führungen statt, in kleineren Gruppen.

Berliner Unterwelten: Brunnenstraße
Brunnenstraße 143, Keller der ehemaligen Oswald-Berliner-Brauerei, Ausstellungsräume zum Thema: "Fluchttunnel unter der Berliner Mauer"

Eben noch im Trubel des Bahnhofs Gesundbrunnen, da öffnet sich eine unscheinbare Tür, an der man sonst achtlos vorbeieilt, und schon geht es hinab in den Keller Berlins: Herzlich Willkommen im Dunkel der Unterwelten! Neben verschiedenen Führungen, die unter anderem auch in originalen unterirdischen Anlagen das mühevolle Ausharren der Berliner in den Luftschutzbunkern im 2.Weltkrieg zeigen, bietet die „Tour M“ die interessante Geschichte der Tunnelfluchten unter der Berliner Mauer.

Mehr als 70 Tunnel wurden begonnen

Den ersten Tunnel gab es bereits 2 Monate nach dem Mauerbau 1961, zwei West-Berliner gruben sich in den Osten nach Pankow, um ihre Freundinnen in den Westen zu holen. Der letzte Tunnel scheiterte im Jahre 1984. Insgesamt gab es mehr als 70 tatsächlich begonnene Fluchttunnelvorhaben, von denen jedoch nur 19 erfolgreich waren. Durch sie gelangten immerhin über 300 DDR-Bürger von Ost- nach West-Berlin. Es gab spektakuläre Aktionen, Verrat und bitteres Scheitern, weil die Stasi die geplanten Aktionen im Vorfeld ausspähen konnte.

Nach der ersten Station in den Ausstellungsräumen in der Zivilschutzanlage Blochplatz geht es per „U-Bahn-Shuttle“ zur Bernauer Straße, einem der Brennpunkte des Mauerbaus und auch einer der Schwerpunkte im Fluchttunnelbau. Auf einer Streckenlänge von nur 350 Metern wurden die Grenzsperranlagen hier siebenmal untertunnelt. Der hier besonders tiefliegende Grundwasserspiegel ermöglichte das Anlegen sehr tief liegender Fluchttunnel.

Der  Tunnel 57 – ein spektakuläres Projekt

Nahe diesen authentischen Schauplätzen der Geschichte geht es erneut in den Untergrund. In den historischen Gewölben der ehemaligen Oswald-Berliner-Brauerei wird anhand von Tunnelnachbauten im Originalmaßstab sowohl von verratenen und gescheiterten Tunnelvorhaben berichtet als auch über das erfolgreichste und spektakulärste Projekt aus der Zeit der Berliner Mauer, den »Tunnel 57«. Seinen Namen bekam er von den 57 Menschen, die 1964 durch den 145 Meter langen Tunnel in den Westen fliehen konnten – 12 Meter tief unter der Bernauer Straße.

Mehr als sechs Monate wurde von der Westseite an dem Fluchttunnel gearbeitet, über 30 Studenten der Freien Universität Berlin (FU) graben mit am 90 cm hohen und 80 cm breiten Stollen. Unter ihnen auch der Physikstudent Reinhard Furrer, der 1985 als westdeutscher Spaceshuttle-Astronaut berühmt wurde als wohl der prominenteste Fluchthelfer an bzw. unter der Berliner Mauer.

Am 2. Oktober 1964 ist der Durchbruch endlich geschafft. Doch zur Überraschung der Tunnelbauer kommen sie nicht wie geplant im Keller des Hauses Strelitzer Straße an die Oberfläche, sondern im Innenhof in einem nicht mehr genutzten Toilettenhäuschen. Dennoch klettern die Ersten kurze Zeit später unerkannt auf allen Vieren durch den engen Tunnelschacht in den Westen. Doch auf der Liste der Fluchtwilligen befindet sich ein Stasi-Spitzel, der den Tunnel verrät. Es kommt zu einer Schießerei, ein DDR-Grenzsoldat stirbt dabei. Am nächsten Tag melden DDR-Medien die Ermordung des 21-jährigen Unteroffiziers Egon Schultz durch „westliche Terroristen“. Nach der Wende wird der Bericht einer Ost-Berliner Untersuchungskommission entdeckt, aus dem hervorgeht, dass Egon Schultz versehentlich durch eine Maschinenpistolensalve des eigenen Kameraden tödlich getroffen worden ist.

Im Osten war Kreativität gefragt

Wurde vom Osten gegraben, wie etwa 1962 bei dem Glienicker Tunnel in Richtung Frohnau, standen die Tunnelbauer vor dem großen Problem: wohin mit der Erde?  Um sich nicht draußen verdächtig zu machen und entdeckt zu werden, wurde der Aushub drinnen im Haus in Schubfächern, in Schränken, in extra errichteten Zwischenböden und hinter eingezogenen Wänden versteckt.

In der zweistündigen Tour werden nicht nur die Geschichten der Fluchttunnel erzählt. Auch die Berliner Geisterbahnhöfe, ihre scheinbar perfekte Sicherung gegen sogenannte Grenzverletzer und das Absperren der Kanalisation gegen unterirdische Fluchtversuche sind großes Thema auf dieser Tour.

Wenn man dann am Ende wieder zurück ans Sonnenlicht kommt an die frische Luft, nimmt man das beklemmende Gefühl mit aus dem Dunkel der „Unterwelten“. Und die Eindrücke gehen einem noch lange im Kopf umher.

 

Die Führungen finden aktuell angepasst an die Corona-Bedingungne statt. Zuletzt ging aus Medienberichten hervor, dass der Verein Berliner Unterwelten e.V. um’s Überleben kämpft. Aktuelle Infos zu den Tunnelführungen:
www.berliner-unterwelten.de

 

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien bereits in einer Ausgabe unserer Zeitung „Wir für Berlin“ und wurde aufgrund der Corona-Maßnahmen durch das Redaktionsteam aktualisiert.

Ein Kommentar zu “Unterirdisch in die Freiheit – Berliner Unterwelten”

  1. Christiane von Gierszewski |

    Guten Morgen, danke für den Beitrag.
    Ich habe auch schon mehrere Touren besucht und es ist immer wieder sehr interessant.
    Wir wissen oft gar nicht was „unter uns“ alles so war und ist.

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