Seit wann leben Sie auf der Straße?
Ich lebe seit 2017 auf der Straße. In der S-Bahn verkaufe ich Zeitungen. Damit verdiene ich den Lebensunterhalt für mich und meine Frau Ingrid. Ingrid leidet an einer manisch-depressiven Erkrankung und wurde fast das ganze letzte Jahr in Krankenhäusern behandelt. Ich habe entweder draußen oder in Notunterkünften geschlafen und bin täglich irgendwo duschen gegangen. In den Krankenhäusern ist niemandem aufgefallen, dass ich keiner normalen Arbeit nachgehe oder so. Das konnte ich verhindern.
Wie sah Ihr Leben vorher aus?
Vor der Obdachlosigkeit war ich selbstständig und relativ erfolgreich. Ich arbeitete im In- und Ausland und bin auch sonst viel gereist. Nach einer Trennung habe ich auf alles verzichtet und bin nach Leipzig gegangen.
Waren Sie schon in Leipzig obdachlos?
Nein. Zur Obdachlosigkeit kam es, nachdem ich nach Berlin zurückgekehrt bin. Hier bekam ich keinerlei Unterstützung und verlor dann auch noch meinen Ausweis.
Seit wann sind Sie und Ihre Frau in der Notunterkunft?
Das Angebot der Kältehilfe im Hangar nutzen wir seit März. Vorher wohnten wir ca. vier Wochen lang in einem Hotel am Adenauerplatz für 35 Euro die Nacht. Das konnte ich locker stemmen, obwohl ich einen hohen Blutdruck habe und mir jeden Tag Insulin spritzen muss. Zur Berlinale wurde der Preis auf 185 Euro erhöht. Das konnten wir uns nicht mehr leisten. Dann hörte ich von der Kältehilfe in Tempelhof und kam mit meiner Frau hierher.
Sind Sie mit dem Angebot zufrieden?
Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Im Hangar ist alles recht unkompliziert und sauber. Außerdem sind die Mitarbeiter sehr nett zu uns. Sie helfen uns, wenn wir etwas brauchen und geben uns Auskunft. Unzufrieden bin ich mit dem Verhalten anderer Menschen hier – es kommt draußen nicht selten zu Prügeleien – und dem Essen. Unschön ist auch, dass die meisten in der Unterkunft der deutschen Sprache nicht mächtig sind.
Wie sieht Ihr Alltag aus?
Jeder Tag ist im Prinzip gleich. Das führt dazu, dass man manchmal das Gefühl für die Zeit verliert. Wenn wir morgens den Hangar verlassen, treffe ich mich mit einem Bekannten, um Zeitungen zu verkaufen. Ingrid verbringt die Zeit im „Kaffee Bankrott“. Am Nachmittag begeben wir uns wieder Richtung Unterkunft. Dann sind wir meistens am Kaiser-Wilhelm-Platz und gönnen uns eine Bulette und manchmal auch ein Bier.
Gibt es glückliche Momente in Ihrem Leben?
Glückliche Momente erlebe ich eigentlich jeden Tag irgendwie. Ich habe meine Erwartungen extrem heruntergeschraubt. Dadurch kann ich mich über Kleinigkeiten freuen, die ich früher übersehen hätte. Aber Glück bedeutet für mich neben Gesundheit vor allem nach Hause kommen.
Wollen Sie wieder ein „normales“ Leben führen?
Ja. Ich hoffe, dass es in den nächsten Wochen wieder aufwärtsgeht. Ich tue jedenfalls alles dafür. Das ist nicht leicht, weil ich immer auf Ingrid achten muss. Ich habe beispielsweise vor, mich mit Ingrid wegen einer Wohnung vorzustellen. Außerdem werde ich mich um meine Zähne kümmern. Momentan fehlen mir einige. Wenn die wieder da sind, kann ich auch wieder im Verkauf arbeiten. Angebote gibt es bereits.