Im Jahr 2015 kamen bundesweit etwa 890.000, berlinweit ungefähr 55.000 Schutzsuchende zu uns. Viele von ihnen flohen aus den Krisengebieten Syrien, Afghanistan, Irak oder Eritrea. Die Phrasen „Willkommenskultur“, „Wir schaffen das“, „Grenzschutz“ sowie „Flüchtlingskrise“ prägten die Diskussion damals und zum Teil noch heute.
Die Situation 2015 löste aber nicht nur Diskussionen aus, es wurden auch quer durch die Gesellschaft und ihren Institutionen eine Menge pragmatischer Unterstützungsangebote angestoßen. Die Arbeitsmarktintegration spielt bis heute eine zentrale Rolle, denn der Bedarf und die Bedeutung dieser sind für die Integration nach wie vor sehr groß.
2015 überstieg die Nachfrage die Angebote der Integrationsunterstützung. Das Land Berlin reagierte im Schulterschluss mit den relevanten Kammern, Wirtschaftsverbänden und Berliner Projektträgern auf diese Herausforderung. Die damalige Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen legte gleich 2015 den Grundstein für den Aufbau der Ausbildungsinitiative ARRIVO BERLIN und bekräftigte ihre Umsetzung in den darauffolgenden Jahren.
Vom Einzelprojekt zur Dachmarke
Aus einem 2014 gestarteten Pilotprojekt im handwerklichen Bereich, den heutigen ARRIVO BERLIN Übungswerkstätten, entwickelte sich somit sukzessiv eine Dachmarke mit zehn Modellprojekten. Mit ihnen werden geflüchtete Menschen zwischen 18 und 35 Jahren, die den Wunsch und das Potenzial haben, eine berufliche Ausbildung erfolgreich zu durchlaufen, bis zum erfolgreichen Abschluss begleitet: von Sprachkursen über Coaching- und Nachqualifizierungsberatung bis hin zum Schnupperpraktikum und Kontaktaufnahmen mit potentiellen Ausbildungsbetrieben. Insbesondere Betriebe aus Wirtschaftsbereichen mit (drohendem) Fachkräftemangel werden in den Blick genommen, wie Sanitär / Heizung /Klima, die Bauwirtschaft oder der IT-Bereich.
Im März 2019 wurde der Bildung, Umschulung, Soziales (BUS) gGmbH die technische Koordinierung der Initiative übertragen. Zu den Aufgaben dieser gehören damit die Vernetzung der Teilprojekte, die Fortbildung des Projektpersonals, die Öffentlichkeitsarbeit für die Initiative und die Zuarbeit zum Fachcontrolling. Dies wirkte sich für alle Beteiligten positiv aus, wie die Projektleitung von ARRIVO BERLIN Ausbildungscoaching, Irena Büttner, zum Ausdruck bringt:
„Die Einrichtung einer Technischen Koordinierung hat dazu geführt, dass der Projektverbund besser und koordinierter wahrgenommen wird. Mit dem Wechsel der TK zur BUS gGmbH ist die Akzeptanz der Arbeit aller Projekte in den Fokus gerückt und es gibt echte Unterstützungsangebote“.
Win-Win für Betriebe und geflüchtete Menschen
An der Schnittstelle von Fachkräftesicherung und Integrationsunterstützung für geflüchtete Personen kommt es im Idealfall zu einer Win-Win Situation. Mit der Ausbildung von geflüchteten Menschen gehen Betriebe neue Wege, um ihren Fachkräftebedarf zu sichern. Dabei werden sie federführend vom ARRIVO BERLIN Servicebüro für Unternehmen begleitet, welches den Betrieben mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten zur Seite steht.
Für geflüchtete Menschen wiederum ist die Ausbildung häufig ein entscheidender Integrationsschritt. Christine Döbler, Projektleitung von ARRIVO BERLIN Soziales, stellt beispielweise fest, dass „‘unser Modellprojekt es geflüchteten Menschen ermöglicht‚ der Aufnahmegesellschaft etwas zurück zu geben‘, wie es eine Teilnehmerin einst formulierte – denn über ihre Ausbildung im sozialen Beruf werden sie selbst zu Helfenden. Das zu erleben, macht stolz und stark zugleich. Viele haben in ihrer eigenen Fluchtgeschichte erfahren, wie wichtig eine Hilfestellung sein kann.“
Milad Aghajani und Jawad Mohammadi – zwei Neuanfänge
938 geflüchtete Personen wurden seit 2015 in eine Ausbildung oder Arbeit begleitet. Hinter jeder Zahl steht die Geschichte eines Neuanfangs. So zum Beispiel die von Milad Aghajani, der in 2015 als Jugendlicher aus Afghanistan nach Deutschland kam: Aghajani möchte sich orientieren und selbst herausfinden, welcher Beruf für ihn der richtige ist. Motiviert und voller Interesse kommt er 2018 zu ARRIVO BERLIN Gesundheit.
Das Teilprojekt ARRIVO BERLIN Gesundheit organisiert ein Praktikum im Hubertus Krankenhaus für ihn. Dank seiner Kompetenz und der Unterstützung des Teilprojekts beim Bewerbungsprozess, der inhaltlichen Betreuung durch Deutschunterricht und durch den Austausch mit anderen bekommt er einen Ausbildungsplatz und absolviert die Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpflegehelfer. Gleich im Anschluss will er mit der Ausbildung als Pflegefachkraft weitermachen. Der Anfang ist für April 2021 geplant.
Ein weiteres Beispiel für das Tätigkeitsfeld von der Ausbildungsinitiative zeigt sich am Weg von Jawad Mohammadi: Er kam vor vier Jahren aus Afghanistan nach Deutschland und fing zunächst mit einer Einstiegsqualifizierung – einem Langzeitpraktikum, das auf die Ausbildung vorbereitet – als Kaufmann für Büromanagement bei der Firma B.I.N.S.S. Medientechnik GmbH an.
Das Unternehmen aus Weißensee wendete sich an das ARRIVO BERLIN Servicebüro für Unternehmen, um Jawad Mohammadi die benötigte Unterstützung für die Berufsschule anbieten zu können. Das Servicebüro konnte unter anderem über das UNIONHILFSWERK-Projekt „Ausblicke“ einen Mentor vermitteln, der sich einmal die Woche mit Jawad Mohammadi trifft. Das Teilprojekt ARRIVO BERLIN Ausbildungscoaching begleitet ihn auf seinem weiteren Weg durch die Ausbildung, die im September 2020 angefangen hat. So erhält er „passgenaue Unterstützungsangebote wie Nachhilfe, Hilfe bei der Prüfungsvorbereitung oder bei Antragstellungen in Behörden Ämtern“, so Irena Büttner.
5 Jahre Lebensleistung
Diese Beispiele zeigen, dass der Weg zur Ausbildung häufig aus zahlreichen Schritten mit vielfältigen Maßnahmen und unterschiedlichen Partnern besteht – von verschiedenen Teilprojekten über Jobcenter, Jugendberufsagenturen bis hin zum UNIONHILFSWERK. Doch der Weg lohnt sich. Aktuelle Berichte zeigen, dass im September 2019 rund 40 Prozent der Geflüchteten aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern beschäftigt sind.
Arbeit verändert das Leben grundsätzlich, das erleben die Teilprojekte hautnah. Alexander Fourrestié vom Teilprojekt ARRIVO BERLIN Hospitality betont rückblickend das gemeinsam erreichte:
„Wir haben jetzt noch Kontakt mit Geflüchteten, die wir 2015 kennen- und schätzen gelernt haben. Viele von ihnen haben eine Familie gegründet und sind mittlerweile nach erfolgreich beendeter Ausbildung Fachkräfte, die mitten im Arbeitsleben stehen. Wenn wir sehen, wie diese sich innerhalb von 5 Jahren in Berlin ein neues Leben aufgebaut haben, empfinden wir großen Respekt vor dieser Lebensleistung.“