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„Letzte-Hilfe-in-Berlin-Kurs“ – oder über die Gelegenheit, im Angesicht des Todes aufs Leben zu schauen!

Das Thema Sterben ist für viele im Alltag ganz weit weg - und wenn es kommt, dann mit Wucht. Gerade deshalb war es für mich spannend, einen unserer Letzte-Hilfe-in-Berlin-Kurse zu besuchen. Der Kurs war dann tatsächlich ganz anders als erwartet.

Die Hand zu halten ist eine schöne Geste, wird von vielen Sterbenden aber gar nicth wahrgenommen, lernen wir im Kurs.

Sterben: Ein ungewohntes Thema?

„Du gehst bitte wo hin?“ Das war die erste Reaktion meines Mannes, als ich ihm davon erzählte, dass ich am Wochenende zu einem „Letzte-Hilfe-Kurs“ gehen wollte. Und mit dieser Reaktion war er nicht alleine. Erste Hilfe, klar, diese Kurse kennt jeder. Letzte Hilfe aber klingt für Laien wie mich ersteimal befremdlich, wenig greifbar, vielleicht sogar beängstigend. Da das UNIONHILFSWERK diese Letzte-Hilfe-Kurse aber regelmäßig anbietet und ich das Thema wirklich spannend finde, habe ich mich also angemeldet und bin gespannt, was mich erwartet…

Die erste Überraschung erlebe ich dann noch vor dem Start des Seminars: Der Kurs findet im Bestattungsunternehmen Grieneisen statt, so viel hatte ich vorab gelesen.  Das Gebäude, vor dem ich morgens stehe, hat mit dem kleinen Schauraum voller Särge, das ich erwartet hatte, dann aber rein gar nichts zu tun. Da ist ein großes, helles und modernes Gebäude, mit Wasserplätschern und Steingarten im Foyer und automatischer Türöffnung.

Die erwartete Beklemmung bleibt also erst einmal aus – in kleinen Wellen kommt sie über den Tag dann aber doch: Zum Beispiel, als eine Teilnehmerin schon in der Vorstellungsrunde erzählt, wie sie in den letzten Jahren nacheinander beide Eltern verloren hat und warum sie hofft, dass sich da noch „einiges am System ändert“. Oder als ihre Sitznachbarin davon berichtet, dass ihr Lebenspartner schwer demenzkrank sei und sie sich „einfach so langsam vorbereiten“ müsse. Sie lässt den ganzen Tag ihr Handy nicht aus den Augen.
Zwei andere Teilnehmerinnen hingegen sind auf der Suche nach einem Ehrenamt. Für sie könnte der Letzte-Hilfe-in-Berlin-Kurs ein erster Schritt auf dem Weg zur Tätigkeit als Sterbebegleiterin sein. Alle Teilnehmer*innen des Kurses sind Laien wie du und ich, aber klar ist auch: Mit dem Thema Sterben haben wir alle unsere ganz eigenen Erfahrungen gemacht, ganz persönlich und individuell.

Letzte Hilfe – was ist das?

Letzte Hilfen sind laut Kursleiter Dirk Müller, Maßnahmen zur Hilfe bei lebensbedrohlichen Erkrankungen mit dem Ziel der Linderung von Leid und Erhaltung von Lebensqualität. Er stellt klar: „Auch wenn es schwer ist, geht es nicht darum, das bloße Überleben eines Angehörigen zu sichern, sondern darum, ihm das Gehen möglichst angenehm zu machen.“ Ausdruck findet das auch in dem bekannten Zitat von Cicley Saunders, die als Begründerin der modernen Hospizbewegung gilt: „Es geht darum, den Tagen mehr Leben zu geben, als dem Leben mehr Tage.“

Kein Wunder also, meint Dirk Müller, dass viele Angehörige sich bei einem Todesfall im Krankenhaus schlecht betreut fühlen: Ärzte sind schließlich dazu ausgebildet, zu heilen. Das ist in der Hospizbetreuung etwas ganz Anderes: Hier können die Patienten oft das erste Mal zur Ruhe kommen.

Wir leben und sterben individuell

Zu Beginn des Kurses lernen wir Grundlagen, erfahren was da eigentlich passiert, wenn man stirbt – sowohl körperlich, als auch psychisch und im sozialen Umfeld. Dirk Müller erklärt, dass Schmerz in verschiedenen Dimensionen empfunden werden kann (Stichwort: „Total Pain Concept“) und dass deswegen für einen Sterbenden mal eine höhere Dosis an Schmerzmitteln Erleichterung schafft, während bei dem nächsten das Gespräch mit dem Pfarrer helfen kann. „Und beides ist richtig“, betont er. „Denn jeder Mensch ist individuell und darf auf seine ganz eigene Weise gehen“.

Dann geht es um das Thema Vorsorge: Es ist wichtig, mit Angehörigen rechtzeitig über Wünsche und Ängste zu sprechen, aber auch festzulegen, wie das eigene Sterben eigentlich aussehen soll. Zentral ist hier die Vorsorgevollmacht, die ganz klar einen Zuständigen und Entscheidungsbefugten festlegt, für den Fall, dass selbst keine Entscheidungen mehr getroffen werden können. In Ergänzung ist auch die Patientenverfügung sinnvoll, in der vorab beispielsweise festgelegt werden kann, ob man künstlich beatmet werden will.

Dem Rotweintrinker seinen Rotwein

Nach der Mittagspause wird es dann praktischer: Was können wir konkret tun, um Sterbenden die letzten Tage so angenehm, wie möglich zu machen?  „Auch das ist individuell“, erzählt Dirk Müller und verweist schmunzelnd auf das Zitat einer alten Dame „Ich brauche keine Hilfe, ich will nur meinen gottverdammten Eierlikör!“.

Selbst wenn Sterbende nicht mehr trinken können, haben sie oft ein Durstgefühl. Außerdem nehmen sie meist noch Düfte, Geschmacksaromen oder Musik wahr. Warum also sorgen wir nicht für eine Atmosphäre, in der sie sich wohlfühlen? Damit das klarer wird, probieren wir es gleich aneinander aus: Die jeweiligen Sitznachbarn werden wahlweise mit Zitronen- (belebend), Mandel- (beruhigend) oder Lavendelöl (für mich einfach furchtbar!) eingecremt, die Lippen mit Wein, Sekt, O-Saft oder eben Eierlikör befeuchtet. Ich muss lächeln und denke an meine eigene Familie. Notiere: Rotwein auf die Lippen, frischgemahlenes Kaffeepulver unter die Nase und Roy Black auf die Ohren!

Einblicke in die Welt der Bestatter

Nach den Praxisübungen, die tatsächlich in fröhliches Miteinander übergegangen sind, steht dann der letzte Programmpunkt an: wir besichtigen das Haus der Begegnung von Grieneisen. Dominik Kleinen führt uns durchs Haus und bleibt direkt im Foyer stehen. Er erklärt, dass Wasserspiel und Steingarten nicht nur nett aussehen, sondern vor allem für eine beruhigende Atmosphäre sorgen sollen. Denn die Kunden, die hier herkommen haben in der Regel gerade einen Angehörigen verloren. Wir besichtigen einen „Abschiedsraum“, an der Wand große beleuchtete Bilder, die das offene Meer zeigen. Jeder Abschied ist hier anders.

Zum Schluss geht es in den Keller, zu den Särgen. Das leicht mulmige Gefühl verschwindet schon beim Betreten des Raumes: Hier riecht es nach Tischlerei! Klar, auch Särge müssen irgendwie gebaut werden. „Die Kunden haben natürlich die Wahl zwischen verschiedensten Modellen“, erzählt Dominik Kleinen. Klingt ein bisschen nach Autokauf, ist aber etwas, mit dem man sich auseinandersetzen sollte. Wie ein Sarg gebaut wird, lernen wir dann ganz praktisch und legen Hand an: Wir bringen selbst Griffe und Polsterungen an und bekommen alles genau erklärt. „Ich habe am Wochenende übrigens einen Sarg gebaut“ mag zwar zugegebenermaßen ziemlich befremdlich klingen. Dennoch: Ich kann behaupten, dass ein Sarg selbst jetzt absolut nichts Befremdliches oder aber Gruseliges mehr für mich ist.

Wissen, Wissen, Wissen

Ganz generell denke ich an diesem Abend: „Wissen ist tatsächlich Macht“ – auch in Verbindung mit dem Thema Sterben. Eigentlich ist das natürlich keine große Erkenntnis, für mich aber trotzdem ein Fazit für den Letzte-Hilfe-in-Berlin-Kurs. Denn um die Auseinandersetzung mit dem Tod kommt schließlich niemand von uns herum und insbesondere das Sterben von Angehörigen kann, so empfinde ich es, ein kleines bisschen leichter werden, wenn man sich vorab gut informiert.

Entlassen werden wir am Nachmittag mit den unterschiedlichsten Gedanken: „Viele sagen ja, man solle vom Tod aus auf das Leben schauen“, sagt Dirk Müller. „Hätte ich doch mal… doch noch das neuste Handy gekauft! ist nur ganz selten der letzte Gedanke eines Sterbenden. Also: Was macht das Leben eigentlich lebenswert?“

Informationen zum aktuellen Kursangebot und zum Thema Stebebegleitung finden Sie hier.

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