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Eine große Kämpferin für eine bessere Psychiatrie ist im Alter von 103 Jahren verstorben. Eine Erinnerung an Dorothea Buck

Deutschlands wohl bekannteste Psychiatrie-Erfahrene ist Anfang Oktober hoch betagt verstorben. ‚Wir für Berlin‘ hatte sie 2013 in Hamburg besucht und sie zu Ihrem Leben und zu ihrer Einschätzung der Situation von Menschen mit psychischen Erkrankungen befragt (Wir für Berlin, Ausgabe 78, 1. Quartal 2013). Zur Erinnerung an diese eindrucksvolle Frau ist das bewegende Interview jetzt nochmals hier zu lesen.

Wir haben Frau Buck im Jahr 2013 für ein Interview in der Wir Für Berlin getroffen.

„Wir brauchen eine Psychiatriereform“: Dorothea Buck kämpft auch mit 95 noch für eine bessere Psychiatrie

Ein Glas klare Flüssigkeit. Der Befehl: Austrinken, sofort! Die Substanz ist bitter. Panik steigt auf. Gift! Ich werde vergiftet! Rund um die junge Frau wird es dunkel… Mit 19 Jahre erlebte Dorothea Buck 1936 nach ihrer Einweisung in die von Bodelschwinghsche Anstalten Bethel so ihre erste Zwangsbehandlung. Diagnose: Schizophrenie. 77 Jahre später ist aus der tief verängstigten jungen Frau eine der engagiertesten Kämpferinnen für die Rechte von Psychiatriepatienten geworden. Für ihren Einsatz wurde sie 2008 mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Sie hielt zahlreiche Vorträge auf Fachtagungen und gründete mit dem Hamburger Dr. Thomas Bock 1989 das erste Psychose Seminar. Ihr autobiografisches Werk „Auf der Spur des Morgensterns. Psychose als Selbstfindung“ gehört zur Standardliteratur in der Sozialpsychiatrie.

Eine besondere Frau

Wir treffen Dorothea Buck in ihrem Häuschen in Hamburg. Es liegt versteckt am Ende eines Gartens, nur wer weiß, wo er suchen muss, findet sie hier. Es ist warm und gemütlich, der Ölofen blubbert. Überall stehen kleine Plastiken von Dorothea Buck, die sich auch als Künstlerin einen Namen machte. U.a. steht ein Guss ihrer Figur „Mutter mit Kind“ in der Berliner Charité. Die 95-Jährige hat es sich auf ihrem kleinen Sofa gemütlich gemacht. Rechts von ihr parkt der Rollator, auf der linken Seite türmen sich Bücher und Fachzeitschriften. Die Beine machen nicht mehr so richtig mit, ihrem scharfen Verstand konnte das Alter jedoch nichts anhaben. Noch beeindruckender als ihr klarer Geist sind jedoch ihre Heiterkeit und ihre große menschliche Wärme. Sogar wenn sie über ihre schlimmsten Psychiatrieerfahrungen wie Dauerbäder, nasse Packungen, Insulinschocks und die eigene Zwangssterilisation berichtet, ist keine Verbitterung zu spüren. Man müsse mit den Menschen ein bisschen nachsichtig sein, erklärt sie lächelnd.

Bei der aktuellen Debatte zum Thema Zwangsbehandlungen von Psychiatriepatienten ist es mit der Nachsicht allerdings vorbei. Lässt die Neureglung doch das grundlegende Credo der UN-Behindertenrechtskonvention „Nicht über uns ohne uns“ außer Acht. „Eigentlich müsste man herausfinden, warum sich jemand nicht behandeln lassen will.“ Natürlich gibt es Menschen, die Psychopharmaka brauchen, „doch die Entscheidung muss jeder für sich treffen können“, so Buck. Aus Empörung über das Schweigen zur Euthanasie und über die schlechten Zustände in deutschen Psychiatrien hatte Buck in den frühen 60er Jahren begonnen, sich für die Betroffenen einzusetzen. Das Schweigen ist ihrer Ansicht nach auch heute noch das zentrale Problem. „Es setzt sich mehr und mehr eine biologistische Sichtweise durch. Danach liegen die Ursachen einer Psychose in einer genetisch bedingten Hirnstoffwechselstörung. Seelische Ursachen gibt es nicht.“ Besonders weit entfernt vom erblich bedingten Schwachsinn der Nationalsozialisten sei man mit dieser Sichtweise nicht. Buck ist überzeugt, dass jede Psychose einen Sinn hat. Nur wer die Zusammenhänge erkenne und für sich aufarbeite, wird gesund.

Unheilbar aber gesund

Die Wahlhamburgerin erlebte insgesamt fünf schizophrene Schübe, den letzten 1959. Seit nunmehr 54 Jahren ist sie rückfallfrei. Sie wünscht sich für die Zukunft der Psychiatrie in Deutschland eine Abkehr vom Unheilbarkeitsdogma und mehr Kommunikation mit den Betroffenen. Einen guten Ansatz sieht sie in Programmen wie EX-IN (Experienced Involvement). Dabei werden Psychiatrieerfahrene zu Dozenten und Mitarbeitern ausgebildet und anschließend in der psychiatrischen Versorgung eingesetzt. Generell müsse das Hilfesystem mehr Behandlungsalternativen zur Verfügung stellen. Unbedingt auch ohne oder mit gering dosierten Neuroleptika. „Die Biologisten weigern sich einzusehen, dass die Neuroleptika die Patienten dumm machen – und nicht die Krankheit. Eigentlich brauchen wir wirklich noch einmal eine Psychiatriereform“, sagt Dorothea Buck bestimmt. Wer diese außergewöhnliche Dame mit dem markanten grauen Pagenkopf einmal in Aktion erlebt hat, zweifelt nicht daran, dass sie trotz ihres hohen Alters auch bei dieser noch einmal mit vollem Einsatz dabei wäre.

 

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