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SCHATTEN SAMMELN – Premiere der poetisch-musikalischen Lesung der PAPILLONS

Das Theaterensemble PAPILLONS erprobt im Pflegewohnheim „Am Kreuzberg“ künstlerische Darstellungsformen mit Menschen mit Demenz - gemeinsam mit professionellen Künstlern. Das aktuelle Projekt SCHATTEN SAMMELN feierte Anfang Juli Premiere und bewegte die Gäste im Publikum. Stefanie Wind schildert für uns, wie sie den Abend erlebt hat und stellt uns das neueste Projekt dieser so besonderen Kunstgruppe vor.

Aldona Holmsten neben Christine Vogt (rechts) bei der Premiere von SCHATTEN SAMMELN

„Eine Hühnerleiter, von oben bis unten beschissen – das war mein Leben. Erst seit dem 75. hängen Schokoladen und rote Rosen dran.“ Die Rückschau von Heiderose Neumann, vorgetragen auf der Premiere von SCHATTEN SAMMELN, lässt das Publikum kurz die Luft anhalten. Ganz still ist es im Saal des Pflegewohnheims „Am Kreuzberg.“ Auch ich frage mich: Was hat die Frau erlebt? Was ist ihr widerfahren? Die Frage bleibt offen. Alle sehen sie im Hier und Jetzt. Als alte Frau, Bewohnerin des Pflegewohnheimes, Ensemblemitglied der PAPILLONS. Sie wirkt weder gebrochen, noch gezeichnet. Strahlt pure Lust am Leben und eine fast kindliche Heiterkeit aus, die sich besonders dann zeigt, wenn sie Mundharmonika spielt.

Mit diesem kleinen Ausschnitt ist vielleicht eines der Erfolgsrezepte von SCHATTEN SAMMELN erklärt: Die Ensemblemitglieder sitzen vor dem Publikum, stellen ihre poetischen Texte vor, die uns pur und schonungslos echt der jeweiligen Person und damit auch uns selbst näherbringen.

Kunst von Menschen mit und ohne Demenz

Aber von vorn:

Das Theaterensemble PAPILLONS in Trägerschaft der Stiftung Unionhilfswerk Berlin ist einmalig: Menschen mit und ohne Demenz schaffen Kunst. Pro Jahr gibt es eine Neuinszenierung in der Spielstätte und Heimat der PAPILLONS, im Pflegewohnheim „Am Kreuzberg.“ Dann kommt Corona. Die Welt der Pflegewohnheime – auch die der PAPILLONS – ist geschlossen.  Christine Vogt, künstlerische Leitung des Ensembles, muss neue Wege suchen, um Brücken zu bauen und die Ensemblemitglieder abzuholen. Im Jahr 2020 entsteht das Filmprojekt INNENLEBEN und 2021 der dreiteilige Podcast STILLLEBEN. Aus der Not der Isolation der Alten wird 2022 ein Poesieprojekt ins Leben gerufen. Die Ensemblemitglieder sind anfangs skeptisch. Eben keine Rolle, in die sie schlüpfen, sondern sie, ihr Leben, ihre Gedanken und Gefühle stehen im Mittelpunkt. Das verunsichert. „Ich habe große Angst, nicht verstanden zu werden.“, sagt auch Udo Thiel, Ensemblemitglied seit Gründung.

Schließlich lassen sich alle auf die Poesie-Werkstatt ein, schreiben Gedichte, inspiriert von der Literatin Aldona Holmsten (geb. Gustas), die sich bereit erklärt hat mitzudichten. In dieser poetischen Prosa geht es um Liebe, Angst, Natur, Endlichkeit. Um Themen also, die jeden einzelnen von uns betreffen. Mal voller Schmerz, mal voller Ironie. Alles dabei. Wie im Leben.

SCHATTEN SAMMELN bringt die entstandenen Texte, begleitet von Live Musik des wunderbaren Bratschisten Mike Flemming, auf die Bühne. Fast alle PAPILLONS machen mit, lassen das Publikum im vollen Saal des Pflegewohnheims an ihrem Innersten teilhaben. Wie mutig!

Bewegende Einblicke in die Leben und Leiden der alten Menschen

„Das Auge schaut zurück und sieht den besten Papa der Welt“, so Elvira Werthmüller. Und weiter: „Kettchen, Kettchen, der Papa ischt gefallen.“ Die Luft ist zum Schneiden in diesem Moment. Was hat doch diese Generation durchlitten. Die PAPILLONS haben Kriege erlebt, waren unmittelbar von Flucht, Vertreibung, Verlusten betroffen. Und müssen jetzt, im hohen Alter, erneut mit einem aktuellen Kriegsgeschehen in Europa zurechtkommen. Die Gesichter im Publikum lassen vermuten, dass viele ähnliche Gedanken haben.

Ich bin nicht die einzige, die weinen muss. Die Geschichten der PAPILLONS berühren und gehen tief. Zeitgleich bin ich bestürzt bei dem Gedanken daran, dass diese Lebensgeschichten verschwinden, wenn die Menschen von uns gehen. Bernd Leichsenring, Urgestein der PAPILLONS, kann DDR-Hymne und Arbeiterlieder schmettern wie kein anderer. Im tiefsten Sächsisch wechselt er zwischen seinen Gedichten, dem Ruf nach einer Zigarette und Liedern, wie sie bald niemand mehr kennen wird.

Umso wichtiger sind die PAPILLONS. Sie geben den Menschen eine Stimme, verbinden das Früher mit dem Heute und konservieren Gedanken und Geschichten der Alten. Die Alten haben uns etwas zu sagen. Sie haben einen Vorsprung an Erfahrungen, Leid, Leben. Wir lernen von Ihnen. Und wir sollten Ihnen – ganz in unserem eigenen Interesse – zuhören.

Die Liebe wohnt in der Hoffnung auf Frieden und Zusammenhalt

Zusammenhalt ohne Liebe ist Zwang

Freiheit ohne Liebe ist Willkür

Hoffnung ohne Liebe ist leer

Frieden ohne Liebe ist langweilig

Planung ohne Liebe ist Gier

Die Liebe ist der Kern im Miteinander.

(Udo Thiel)

Diese Worte lasse ich – dankbar und berührt – ohne weitere Kommentare stehen.

 

Weitere Informationen zu dem PAPILLONS finden Sie hier:

www.unionhilfswerk.de/papillons

www.grenzbereiche-theater.de

INNEN LEBEN (Film 2020)

STILLLEBEN (drei-teiliger Podcast mit Kindern und Alten 2021)

 

Auch das Verbandsmagazin des Paritäters berichtete über die Premiere von SCHATTENSAMMELN.

Zu SCHATTEN SAMMELN wird es ein Making Of geben, mehr Infos folgen in Kürze.

 

2 Kommentare zu “SCHATTEN SAMMELN – Premiere der poetisch-musikalischen Lesung der PAPILLONS”

  1. Jasminka Salihefendic |

    Liebe Frau Wind,

    herzlichen Dank für diesen wunderbaren Beitrag. Ihre Zeilen haben mich wirklich sehr berührt.

    Beste Grüße

    1. Stefanie WInd |

      Liebe Frau Salihefendic, ich danke Ihnen von Herzen für Ihren Kommentar. Ich freue mich sehr, dass meine Gefühle zu den PAPILLONS zumindest ein bisschen über den Bericht nach außen gehen konnten. Nach wie vor sind für mich persönlich die Themen Alter, Sterben, „Lebensabend im Seniorenheim“, Isolation der Alten in einer Pandemie… schwer. Deshalb bin ich ein großer Fan der PAPILLONS….Viele Grüße, Stefanie Wind

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